Literaturhinweis

Digital Services Act - Digital Markets Act

In zurückliegenden politischen Zeiten hätte man vielleicht vom "Doppel-Wumms" gesprochen: Der hier vorgestellte Kommentar erläutert auf rund 1.600 Seiten sowohl DSA als auch DMA auf hohem Niveau. Die Herausgeber aus dem Dunstkreis des Hamburger Hans-Bredow-Instituts (HBI) haben erfahrene Autoren für die einzelnen Teile der Kommentierung gewinnen können. Sie alle erläutern die Bestimmungen der europäischen Verordnungen beschreibend, arbeiten die Querbezüge heraus und geben wertend ihre Auffassung wider. Allerdings befassen sich die Autoren mit zwei ziemlich dynamischen Rechtsakten, bei denen vieles durch die Kommission etwa durch Handreichungen und andere Entscheidungen feinjustiert wird. Das Thema ist zuletzt auch transatlantisch in die politische Schusslinie geraten, nachdem Lenker von Digital-Plattformen, die die europäische Regulierung ohnehin für ausgesprochen - na ja - doof halten, sozusagen inoffiziell Vizepräsident in den USA sind und der tatsächliche Vizepräsident dem staunenden Publikum in München erläutert hat, gerade der DSA zeige, dass die Meinungsfreiheit in Europa nichts gelte und Zensur vorherrsche. Auch eine Art von Wumms.

Das bringt so eine dicke Kommentierung in eine Zwickmühle. Die langen Produktionszeiten von Print-Kommentaren führen dazu, dass auch für das Verständnis hilfreiche Dokumente aus Brüssel nicht mehr Eingang gefunden haben. Ohnehin trägt das gerade erst ausgelieferte Werk noch die Jahreszahl 2024 als Erscheinungsdatum. Andererseits lohnt es sich in aufgeregter politischer Debatte, in Ruhe die Grundlagen von DSA und DMA nachzuvollziehen und mit unverstelltem Blick einzuordnen.

Wie immer bei der Vorstellung umfangreicher Kommentierungen soll ein Blick auf ausgewählte Bestimmungen erfolgen. Wir starten mit dem DMA, der sich mit Torwächtern - auch im Deutschen ist der Begriff Gatekeeper wohl gebräuchlicher - befasst. Jan Oster (Uni Osnabrück) kommentiert die einleitenden Artikel mit den Grundlagen des Gesetzes. Ein Torwächter muss von der Kommission benannt werden. Es geht um das Verhältnis von Business-Kunden, der Plattform und den Endkunden - in beide Richtungen, wie Oster befindet: sowohl vom Anbieter von Waren und Dienstleistungen über die Plattform zum Endkunden als auch umgekehrt vom Nachfrager über die Plattform zum Anbieter.

Wir befinden uns in einer kartellrechtlich geprägten Umgebung, erläutert Oster auch im Hinblick zum konkurrierenden nationalen Kartellrecht. Der DMA schenkt sich die Festlegung von Märkten, sondern benennt Kriterien, die erfüllt sein müssen, um Gatekeeper zu sein - und dann kommt es auf der Ebene auch noch auf die zentralen Plattformdienste an, die Gegenstand der Regulierung sind. Aus Sicht der Plattformen gibt Oster zu bedenken, dass dieser Mechanismus an die Grenzen des nach der Grundrechtecharta Zulässigen gehen dürfte, denn auch die Plattformen genießen Grundrechtsschutz. Eine wirklich effektive Möglichkeit, darzulegen, dass trotz der Erfüllung formaler Kriterien die Funktion des Gatekeeper nicht erfüllt wird und die Eingriffe in die eigenen Rechte zu weit gehen, sei nicht gegeben. Natürlich könnte man auch anders herum argumentieren und auf den Schutz der gewerblichen Anbieter und der Endkunden abstellen und die Gatekeeper in den Blick nehmen, die die Funktion erfüllen, nicht aber alle Kritikern. Der Gedanke führt zum Kartellrecht mit Marktabgrenzungen und dem üblichen Instrumentarium, dass der DMA gerade meidet. In den Blick kommt die Anwendung des nationalen Kartellrechts in diesen Fällen (§ 19a GWB). Daneben stellt sich die Frage, wie mit anderen legitimen Zielen des öffentlichen Interesses umzugehen ist, das der DMA nicht abdeckt - wie die Medienpluralität zum Beispiel. Die sei, so Oster, weiterhin im Mitgliedsstaat regelbar. Das lenkt den Blick (über die Kommentierung hinaus) auf die insoweit einschlägige Plattformregulierung des MStV.

Ein Kernstück der DMA-Kommentierung sind die Ausführungen von Dan Welsch (Köln) zu den Verpflichtungen der Torwächter in Bezug auf die zentralen Plattformdienste (Art. 5 ff). Hier geht es darum, unfaire Praktiken der Gatekeeper zu unterbinden, angesprochen ist neben anderen Pflichten auch jene in Bezug auf den Umgang mit Daten aus dem Geschäftsverhältnis zwischen dem gewerblichen Anbieter und seinen Kunden. Um es weniger abstrakt zu formulieren: Das könnten die Nutzungsdaten der Hörer von Radioprogrammen sein, die deren Anbieter über Smartspeaker-Plattformen verbreitet. Die Markennamen fallen einem dazu sofort ein - und der Umstand, dass weder die Benennung als Gatekeeper noch jene als zentraler Plattformdienst erfolgt sind. Die Erläuterungen von Wielsch sind kenntnisreich und sowohl in Bezug auf die technischen als auch die ökonomischen Hintergründe sehr relevant.

Der DSA mit seinen Anforderungen an vor allem die ganz großen Plattformen und Suchmaschinen (VLOPs und VLOSEs) kommen zugegebenermaßen in diesem Literaturhinweis ein wenig zu kurz. Es geht um Verantwortlichkeiten, die umso größer sind, je mächtiger das Angebot ist - was nicht nur aber auch in Bezug auf Medien zu lesen ist. An dieser Stelle kann man die Kommentierung durchaus in der aktuellen Diskussion so verstehen, dass klar wird: Verantwortung für die Verletzung von Rechten Dritter im Nachhinein hat mit einer Zensur von Meinungen nichts zu tun.

Im Detail führt das zu einer ganzen Kaskade von Fragestellungen, die in der Kommentierung aufgeführt sind. Was ist rechtswidrig? Das bestimmt etwa das nationale Recht. Und wer stellt das fest? Was die Frage nach der Rechtsdurchsetzung stellt, die von Christina Etteldorf (EMR Saarbrücken) erläutert wird. Neuerdings führen die deutschen Medienanstalten Klage darüber, dass sie zum Beleg systemischen Fehlverhaltens von Plattformen massenweise Beispiele nach Brüssel schicken, andere Mitgliedsstaaten das nicht tun und in Brüssel zu wenig geschieht. Womit wir wieder bei der Frage wären, warum die Kommission eine so starke Rolle hat und ob es ihr nicht selbst heute mit Blick über den Atlantik nicht lieber wäre, sie könnte auf Entscheidungen eines unabhängigen Gremiums verweisen, wenn Zölle auf Aluminium, Autos, Whisky und Motorräder mit Sanktionen gegen US-Plattformen nach dem DSA verrührt werden. Aber das wäre ein anderer Kommentar als der vorgestellte.

Tobias Mast
Matthias C. Kettemann
Stephan Dreyer
Wolfgang Schulz (Hrg.)

DSA DMA
Digital Services Act - Digital Markets Act- Kommentar, Verlag C.H. Beck, München 2024, 219,00 €

Weitere Literaturhinweise

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